“Alles Weh ist Heimweh” (Dianne Conelly)
Von Sabina Bongard ©
Klima, Krise, Krieg haben Menschen ihre Heimat verlieren lassen und zwingen uns, zusammenzurücken. Wie soll das bei so viel Angst vor Fremden gelingen? Woher rührt diese Angst? Antworten darauf können wir mit den Konzepten und Tools von PBSP® finden.
Jeder Mensch braucht einen Platz, an dem er sich sicher und geborgen fühlt. Wenn unser Bedürfnis nach Platz befriedigt ist, dann fühlen wir uns zu Hause, dann haben wir Heimat gefunden, uns beheimatet. Von dort aus können wir hinausfliegen. Bevor wir die Welt erkunden können, müssen wir einen Platz erfahren haben, von dem aus wir starten können. (Platz wird in diesem Artikel mit dem Begriff der Heimat assoziiert und synonym behandelt.) Und dieser Platz ist nicht beliebig. Wenn wir geboren werden, so kommen wir „auf die Welt“. Und diese Welt ist unermesslich groß und unüberschaubar. Je kleiner und unentwickelter wir sind, desto überwältigender ist dieses Erleben. Wir kennen uns (noch) nicht (aus). Wir kommen aus einem Mutterleib, in dem wir einen wunderbaren Platz erleben durften (hoffentlich). Dort wurden unsere Bedürfnisse befriedigt, noch bevor wir sie überhaupt wahrnehmen konnten oder mussten.
Unser Hunger war stets gestillt. Wir haben nicht gefroren oder geschwitzt. Wir waren wunderbar verbunden (über die Nabelschnur im buchstäblichen Sinne). Wir waren herrlich beschützt und konnten uns ungestört und gut genährt entwickeln.
Mit der Geburt ist die Symbiose vorüber. Wir kommen unter großer Anstrengung auf die Welt. Und in dieser großen Welt gilt es, sich zu verorten. Die Suche nach Erfüllung treibt uns an, danach, dass sich unser Potential erfüllt. Es erfüllt uns, wenn wir uns als Schöpfer und Gestalter unseres eigenen Lebens wahrnehmen. Damit das gelingt, brauchen wir unsere Eltern. Sie müssen uns ganz konkret einen Platz, der es uns ermöglicht, zu gedeihen, uns zu entfalten und zu wachsen, zur Verfügung stellen. Dieser Platz ist zunächst das Nest, welches uns die Eltern erschaffen; das bedeutet sehr konkret ein Arm, der uns hält, ein Bett, das uns trägt und ein Dach über dem Kopf. Es bedeutet sehr konkret ein Stück Grund und Boden, auf dem das Haus steht, ein Ort, eine Stadt. Es ist das, was wir später als Heimat erinnern werden. Dieser „Platz“ hat einen besonderen Geruch, er hat Atmosphäre, er hat Qualitäten, die uns, wenn wir sie woanders wiederfinden, mit Sehnsucht, Schmerz oder mit einem warmen Gefühl von Vertrautheit erfüllt.
Im Laufe der Zeit verbindet sich das konkrete Erleben mit einem symbolischen Erleben. Dann empfinden wir Heimat in der Verbundenheit mit Menschen, mit denen wir ganz wir selber sein können. Dieser Platz befindet sich in den Augen, in den Herzen, in den Gedanken der Eltern!
Wir brauchen dieses „Für-wahr-Nehmen“ unserer Eltern, um ein Bewusstsein über unser Sein zu erlangen. Indem wir uns in ihren Augen spiegeln, die sie uns zu diesem Zwecke zur Verfügung stellen, werden wir uns unserer Selbst bewusst. Dann wissen wir, dass wir sind. Dann werden wir zunehmend, wer wir wirklich sind.
Wir nehmen diesen durch Interaktion zunächst konkret, später im übertragenen Sinne erfahrenen Platz in uns hinein und internalisieren ihn. Er wird zu einem integrierten Objekt, sei er gut oder schlecht. So gehen wir in die Welt.
Die Flucht vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung – Heimweh tut weh
Manche Menschen werden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, sie fliehen vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung. Vor Umweltzerstörung und ähnlichen Gründen. Sie begeben sich auf die Suche nach dem, was sie „Heimat“ nennen können.
Sie spüren in sich, dass es irgendwo diesen Platz geben muss, dass sie ein Anrecht auf Heimat haben. Was sie antreibt zu gehen, ist mithin Heimweh. Das klingt paradox, denn es sollte doch so sein, dass wir, wenn wir in der Ferne sind (von unserem Land, unserer Stadt, unserem Dorf, unserer Familie getrennt), Heimweh empfinden und es uns dorthin wieder zurückzieht.
Wenn wir uns dort, wo wir eigentlich Daheim sein sollten, fern fühlen – fern von den Nächsten, fern vom eigenen wahren Selbst – dann begeben wir uns auf die Flucht. Wenn Menschen durch Unterdrückung und Grenzverletzungen erleben, dass ihr Leben bedroht ist, dann fliehen sie aus ihrer Heimat. Das geschieht konkret oder im übertragenen Sinne. Denn was wir suchen ist, uns selbst nahe zu sein, wirklich zu sein, uns auf jenem Weg zu befinden, der uns erlaubt, „zu werden, wer wir wirklich sind“ (Zitat Albert Pesso).
Nur dann, wenn wir uns in uns selbst beheimaten können, sind wir in der Lage, auch unsere Erde als Heimat zu begreifen und Verantwortung für sie wie für uns zu übernehmen. Bevor wir aber für uns selber Verantwortung übernehmen können, brauchen wir die Erfahrung, dass unsere Umwelt (insbesondere Eltern und Familie) Verantwortung für uns übernommen haben.
Zuerst bekommen wir, dann können wir geben.
Wenn wir nichts bekommen haben, dann können wir auch nichts geben. Wenn wir nicht wahrgenommen wurden, dann kennen wir uns nicht und dann können wir auch andere nicht wahrnehmen. Wenn wir nicht geliebt wurden, dann fühlen wir uns nicht liebenswert, dann sind wir nicht in unserer Kraft, uns an der Welt zu beteiligen, sie als nährend zu empfinden und sie unsererseits zu nähren und zu lieben.
Diese Erde ist unser aller Heimat. Sie ist unermesslich groß und überwältigend schön, wir können sie nicht konkret umarmen. Ja, wir kommen auf die Welt, aber wir werden zunächst in den Schoß der Familie geboren. Das ist unsere Welt, klein und überschaubar. Die Mutter können wir umarmen und den Vater. Wir erwarten, vollkommen unbewusst, dass da diese Eltern sein werden, die uns vermitteln, dass wir willkommen sind. Sie sind uns die Welt und begleiten uns auf dem Weg, mündige und verantwortungsbewusste Erdenbürger zu werden.
Albert Pesso spielte mit dem Wort „Place-Center“. Er assoziierte „Plazenta“. Der Mutterleib, wo mit der Begegnung von Polaritäten, Samen und Eizelle, das Leben beginnt, ist der Ausgangsort. Hier, so ließe sich auch sagen, beheimaten wir uns mit dem Beginn der Zellteilung.
Nur dann, wenn unsere Eltern uns behandeln wie die Erde, dann behandeln wir die Erde wie unser Kind und übernehmen Verantwortung für sie ohne sie auszubeuten und uns ihrer zu bemächtigen.
Dann können wir begreifen, dass diese Erde unsere Mutter ist, die uns nährt und uns zur Verfügung steht, dann und nur dann werden wir uns in ihr zu Hause fühlen können.
Die Suche nach einem Zuhause – „Form und Passform“ (Das zentrale Konzept von PBSP nach Albert Pesso)
Die Dynamik geht so: Weil ich mich zu Beginn noch nicht kenne, will und muss ich mich kennen lernen. Dabei helfen mir meine Eltern. Sie wissen mehr als ich, sie können sich in meine Bedürfnisse einfühlen, sie können diese unterscheiden und benennen und sie wissen, wie man sie befriedigt. Zur rechten Zeit in der richtigen Qualität und Quantität. Zur selben Zeit lernen wir einander kennen; sie lernen mich kennen, ich lerne sie kennen und ich lerne mich kennen.
Wir sind immer zur selben Zeit Form und Passform. Mal in die eine, mal in die andere Richtung!
Diese Erkenntnis und der Zugang zu diesem tief in uns verankerten Wissen ist die elementare Voraussetzung dafür, dass wir die globalen Herausforderungen bewältigen. Es gilt, anderen Heimat zu bieten, jenen, die ihre verloren haben. Und das geht Hand in Hand damit, den Platz, den wir vorfinden, unseren Planeten Erde, unser aller Heimat, zu bewahren. Und weil die unüberschaubar große Erde viel zu viel und viel zu schwer für ein einzelnes Menschenkind ist, gilt es, Verantwortung für jenen überschaubaren, vertrauten, nahen Teil zu übernehmen, der vor unserer Tür liegt.
Denn die Welt ist in jedem ihrer Teile eingefaltet!
Wenn die innere Beheimatung aber nicht gelungen ist, weil uns kein Heim angeboten wurde, dann suchen wir verzweifelt nach ihr. Das ist zugleich die gute wie die schlechte Botschaft!
Wir laufen durch die Welt und fragen gewissermaßen jeden, ob er uns diese Heimat, die längst schon in uns integriert sein sollte, bieten wird. Wir suchen danach zur falschen Zeit am falschen Ort bei den falschen Menschen. Wir bleiben abhängig vom „äußeren Objekt“. Im besten Fall finden wir in bei wohlmeinenden Menschen und in nährenden Zusammenhängen eine gelingende Kompensation.
Wir finden sie in der Musik, in der Natur, bei Tieren, bei Partner*innen und oft auch bei unseren Kindern. Warum Letzteres die Entwicklung der Heranwachsenden beeinträchtigt werde ich später noch genauer ausführen.
Fatalerweise bieten auch Nationalismen vordergründig ein solches Zuhause. Sie sind ein angebliches Zuhause, welche uns täuschen. Sie nähren uns nicht wirklich, so wenig, wie Gummibärchen uns nähren. Aber sie beruhigen und befriedigen uns kurzfristig. Und machen uns auf die Dauer krank!
Diese gefährlichen Nationalismen laden dazu ein, uns einzukapseln und abzuschotten. Von den Fremden da draußen, die wir nicht kennen, von denen wir uns, mangels innerer Sicherheit, mangelndem Selbstbewusstsein und mangelndem Selbstwertgefühl, bedroht fühlen. Wenn wir uns nicht selber kennen, dann gibt es keinen Gastgeber in uns, der Fremde an die eigene Tafel einlädt, bereit, zu teilen. Denn wir haben dann ja nichts zu teilen. Diese Abhängigkeit vom äußeren Objekt macht uns unfrei, geizig, ängstlich. Wenn wir in uns ein gutes Objekt verinnerlicht haben, dann ist das eine bleibende und belastbare Ressource. Dann schöpfen wir aus einer inneren Quelle und sind nicht wie eine Topfpflanze darauf angewiesen, regelmäßig gegossen zu werden.
Das „empathische Gen“ sucht Mitmenschlichkeit, der „Trieb nach Gerechtigkeit“ will Löcher in Rollengefügen füllen
Interessanterweise ist uns ein Wissen mitgegeben, angeboren, welches unendlich viel älter ist als das, was uns in unserem Leben oftmals gelehrt wird. Dieses Wissen ist wie Samenkörner, die auf den Boden der nackten Tatsachen fallen. In diesen Samenkörnern ist unser eigenes Potential verborgen wie auch das Wissen um das Potential des Lebens an sich. Gehen die Samen auf, weil der Nährboden geeignet ist, dann erblühen wir in voller Pracht zu einzigartigen Geschöpfen neben anderen einzigartigen Geschöpfen. Wenn der Mutterboden oder das Vaterland uns Platz, Nahrung, Unterstützung, Schutz und Grenzen bieten zu gedeihen, dann sind wir angekommen. Dann schöpfen wir aus der Fülle und diese wird sich nicht erschöpfen können.
Es gibt viele verzweifelte „Anpassungsleistungen“, zu denen ein Kind sich genötigt sieht, die es meist vollkommen unbewusst vollzieht, weil die Bedürfnisse der Eltern, die ihrerseits als Kind nicht bekamen, was sie gebraucht hätten, nun auf das Kind gerichtet sind.
Wenn das geschieht und niemand anderes bereit ist, den „inneren Flüchtlingskindern“ eine Heimat zu bieten, dann bleibt diesen das eigene Zuhause fremd und ein permanentes Heimweh treibt diese Menschen an, sich irgendwo einzunisten. Dabei befinden sie sich auf der Zeitlinie und auch, was den Ort betrifft, an der falschen Stelle. Jegliche Befriedigung, die einem Bedürfnis dient, welches in unserer Kindheit hätte befriedigt werden müssen, und welches wir stattdessen in unserem Erwachsenenleben suchen, hat eine geringe Halbwertzeit und ist schwer zu integrieren. Wir werden abhängig vom äußeren Objekt (Drogen, Alkohol, Sekten, Gruppen, Beziehungen, etc.) und brauchen diese Interaktionserfahrungen wieder und wieder. Und wir sind anfällig für schnelle Lösungen, für einfache Antworten, weil wir hungrig sind und müde und unsere Frustrationstoleranz ausgereizt ist. Wir verfügen nicht über die nötige Resilienz, die wir benötigen, wenn wir uns auf unbekanntem Terrain befinden.
Am Anfang unseres Erdendaseins steht ein egozentrisches Interesse. Wie soll es auch anders sein? Es gibt ja noch kein Ego! Wir sind fokussiert auf unser Zentrum, darauf, ein Selbst zu werden, was durch nichts anderes geschieht, als durch Interaktion mit Anderen. Sukzessive entwickelt sich dann das Interesse an eben diesem Anderen. Ich lerne zu unterscheiden. Das bin ich, das ist ein Anderer! Der Andere ist mir fremd, so wie ich mir selber einst fremd war. Und weil ich mir selbst vertraut geworden bin, bin ich zuversichtlich, dass ich mir auch den Fremden vertraut machen kann. Und vice versa!
Die Fremdheit in der Welt ist ein, wie ich glaube, ganz natürliches Gefühl und ist ein Gefühl, welches wir zu überwinden streben. Es ist deutlich angenehmer, sich vertraut zu fühlen, sich auszukennen, als sich fremd zu fühlen. Zu Hause ist es eben am Schönsten. Wenn wir nicht zu Hause sind, dann ereilt uns leicht Heimweh. Wer in sich selber nicht zu Hause ist, der ist nirgendwo zu Hause.
Wir wollen dazugehören. Das ist ein existentielles Bedürfnis.
Joachim Bauer postuliert die Existenz eines, wie er es nennt „empathischen Gens“. Von diesem empathischen Gen geht eine Bewegung aus, die einem Naturgesetz unterliegt, so wie die Schwerkraft ein Naturgesetz ist, welches beschreibt, dass alles auf unserem Planeten von oben nach unten fällt.
Die Bewegung des empathischen Gens strebt nach Verbindung mit anderen Menschen. Wir sind, um einen anderen großen Denker zu zitieren, ein „soziales Atom“ (Jakob Levi Moreno). Und wenn wir uns nicht verbinden können, wenn wir uns im anderen quasi nicht selber wieder finden können, dann werden wir krank. Dann sind wir nicht wirklich, sondern vegetieren.
Ich bin verbunden, also bin ich!
Wenn ich nicht verbunden bin, dann bin ich in der Fremde verloren, dann bin ich ein Fremder und habe ständig Angst, mich zu verirren, verloren zu gehen. Wenn wir während der Kindheit, jene lange Schule, in der wir auf das große Welten-Abenteuer vorbereitet werden sollten, keine befriedigende, und dann sicher integrierte Verbundenheits-Erfahrung machen konnten, dann bleibt ein befremdliches Gefühl in uns erhalten. Das Heimweh treibt uns immer weiter, und wir erleben im Anderen nicht den Nächsten, sondern den Fremden, mit dem wir nicht vertraut sind und dem wir nicht vertrauen (können).
Kein Säugetier auf dieser Welt ist so lange von den Eltern abhängig wie wir Menschen. Und keines überlebt mangelhafte Versorgung so wie wir Menschen. Wie wir das überleben, das ist eine andere Frage! Wer sich nicht beheimaten konnte ist verführbar. Es gibt ja keinen klaren eigenen Standpunkt (Wurzeln), von dem aus wir die Welt betrachten und mit ihr interagieren könnten.
Dann bleiben wir unsicher, nicht ausreichend verwurzelt und fragen uns wiederkehrend, wer wir eigentlich sind. Es ist nur ganz natürlich, dass wir permanent Angst haben und damit beschäftigt sind, sie zu verdrängen. Sie zu verleugnen, zu ignorieren, zu verschieben, uns der ein oder anderen Abwehrmechanismen (vollkommen unbewusst) zu bedienen. Dann leben wir nicht, sondern überleben.
Wir sind also zunächst darauf angewiesen, dass unsere Eltern uns den Erdboden nahebringen, genau genommen, uns dieser Erdboden sind, bis wir selber dieser Erdboden, auf dem wir unsere Existenz errichten können, sind. Dieses Gefühl von Verbundenheit ist ein universelles und altersloses Gefühl, das uns gewissermaßen auch mit einer entschwundenen Vergangenheit (der unserer Vorfahren seit Beginn der Erdgeschichte) verbindet und uns sowohl mit Zufriedenheit erfüllen kann, als auch mit Schmerz. Wir sind darauf angewiesen, in einem gesunden familiären Klima aufzuwachsen, einem Klima, in welchem unsere Eigenart einen gesunden Nährboden hat und ins Leben treten kann.
Wenn wir hingegen in einem sterilen, kranken, verseuchten, ausgedörrten, etc. familiären Klima oder einer ebensolchen Umwelt aufwachsen, so empfinden wir nicht etwa unsere Umgebung als verrückt, sondern uns selber. Die Verhältnisse sind nicht, wie sie sein sollten, so, wie es in unserem evolutionären Wissen verankert ist, sie sind es, die ver-rückt sind! Weil wir aber die Welt nicht verändern können, je kleiner wir sind, desto weniger passen wir uns an die Welt an.
Menschen, die einen sicheren Boden unter den Füßen haben, haben eine gesunde Rezeptivität entwickelt und heißen andere auf eben jene Weise willkommen, wie sie es selber erlebt haben. Sie sind in der Welt angekommen und gehören ihr an. Sie haben keinen Zweifel an ihrer Daseinsberechtigung und so auch nicht an der Anderer und sie haben deshalb auch keine Angst.
Albert Pesso sagt: „Wir sind geboren mit der Fähigkeit, in einer nicht perfekten Welt glücklich zu werden.“ Die Diskrepanz zwischen dem, was wir erwarten (dürfen) und dem, was wir vorfinden, darf aber nicht zu groß sein! Hier streiten einander widersprechende Kräfte miteinander, die uns nicht bewusst sind. Die eine Kraft ist die der Verdrängung und die andere das Gegenteil, nämlich der vollständig unbewusste Wunsch, Gerechtigkeit zu schaffen. Nicht im Hier und Jetzt, sondern im Dort und Damals, als wir noch gar nicht auf der Welt waren, in einer Zeit, die wir aus Geschichten kennen oder auch nicht kennen, und die aus unseren Eltern und Großeltern und Urgroßeltern usw. diejenigen gemacht hat, die sie geworden sind. Wir ahnen, dass unsere Ahnen ausreichend gute Eltern geworden wären, wenn sie nicht ihrerseits in ihren Grundfesten erschüttert worden wären. Wir greifen aus, mit unserem inneren Körper und innerem Auge, angetrieben von dem oben erwähnten „Trieb nach Gerechtigkeit“ die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir Eltern hätten bekommen können, die uns hätten geben können, was wir brauchten. Das ist keine Entscheidung! Das ist ein unbewusster Antrieb. Wir wissen nicht, dass wir das tun. Aber wir tun es und verausgaben auf diesem Weg wichtige Ressourcen, denn was wir tun ist „vertane Liebesmüh“. Warum geschieht das dennoch mit uns?
Es schafft uns Befriedigung, inneren Frieden, es lindert das Heimweh und hinterlässt ein Gefühl von Verbundenheit, wenn wir uns und unsere Vorfahren in einer Welt wähnen, die wie für uns erschaffen ist, in der wir zu Hause sind, die zu uns passt und zu der wir passen.
Wie wird man ein zufriedener Weltbürger?
Um Weltbürger werden zu können, müssen wir uns in einer funktionierenden Welt wiederfinden, in der unsere engsten Bezugspersonen unser Wohlergehen sicherstellen und sich diesem auch widmen. Wenn dies nicht gelingt, dann ist es unmöglich, an die Existenz einer Welt zu glauben, die als Ressource dienen und uns auf den Weg in die Unabhängigkeit führen kann. Eine Welt, für die wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Wenn unsere Existenzbedingungen infrage gestellt sind, wenn wir uns „ohne Welt" wiederfinden, dann fangen wir an zu rebellieren, ganz konkret oder unbewusst in unserem Inneren und natürlich auch im Außen. Dann agieren wir unreflektiert! Das ist gefährlich!
Wenn aber unser höchst individuelles Potential sich entfalten kann, dann dienen wir damit dem nächst größeren System und dem darüber und immer weiter. Dann macht unser Leben Sinn.
Angetrieben von diesem Heimweh im Inneren, bleibt uns, sofern dies keine Erfüllung finden kann, nichts anderes übrig, als uns einzukapseln und uns wütend gegen alles, was mit Solidarität und Integration zu tun hat, zu wehren. Auch wenn uns das isoliert und frustriert und mit Schmerz zurücklässt. Das Gefühl, fremd im eigenen Haus zu sein, erlaubt ganz einfach nicht, gastfreundlich zu sein. Wie soll das auch gehen? Und wenn mir kein Platz gewährt wird, dann erlebe ich die Umwelt selbst als wenig gastfreundlich, fühle mich mit ihr nicht verbunden und erlebe sie gar als feindlich.
Verantwortung und Gastfreundschaft, Verantwortungslosigkeit und Lieblosigkeit, Liebe,Gewalt und Verbundenheit finden ihren Ursprung in unserer Kindheit, in der wir im oben beschriebenen Sinne geprägt werden. Und eben dort, in unseren Kinderseelen, die einst voller Vertrauen und Bedürftigkeit auf die Welt gekommen sind, gilt es die Wunden zu heilen,
Erst durch befriedigende Interaktionen bildet sich um unsere Seele eine Membran, innerhalb der sich unsere Seele beheimatet fühlt und von wo aus sie sich in der Welt zu zeigen wagt. Unsere Seele tritt nie ohne diese (schützende), wie Albert Pesso sie nennt, „Ego-Membran“ auf. Wir zeigen uns der Welt mit unserem Ego, in dessen Kern unsere Seele („Wahres Selbst“, D. Winnicott) geborgen ist. Wenn wir mangels befriedigender Erfüllung unserer kindlichen Entwicklungsaufgaben unserer Seele diese Heimat nicht bieten können, wenn diese sich gewissermaßen fremd im eigenen Ego fühlt („Falsches Selbst“, D. Winnicott), dann sucht sie woanders diesen sicheren Ort. Wie oben beschrieben, sind wir dann verführbar für unseriöse Angebote. Wir können sie auch gar nicht identifizieren, weil unser evolutionäres Wissen nicht angemessen validiert wurde.
Das Jenseits als paradiesischer Bezugspunkt
Wenn das Diesseits sich so gravierend von unserem evolutionären Wissen unterscheidet, dann wird uns dafür häufig das Jenseits angeboten, die einzig denkbare Heimat für unsere Seele. So ist es z.B. ein Leichtes, Menschen als Selbstmordattentäter zu rekrutieren, weil sie in einem Milieu aufgewachsen sind, in dem die Regeln der Mitmenschlichkeit keine Anwendung gefunden haben.
Sie wuchsen mit Geschichten auf, die von Ungerechtigkeiten erzählten, die ihren Eltern, Geschwistern, ihrem Volk angetan worden sind und wurden unbemerkt hineingezogen in eine längst vergangene Welt, in der sie unbewusst die Helden zu sein bereit wurden. Denn wäre es damals gerecht zugegangen, dann hätten sie die Eltern und die Heimat gehabt, die sie gebraucht hätten, um ein lebenswertes Leben zu führen.
So bietet sich das Jenseits als jener Ort an, an dem die Bedürfnisse endlich eine Erfüllung erfahren werden, wo ihnen und ihren Ahnen Gerechtigkeit widerfahren wird.
Ohne einen solchen paradiesischen Bezugspunkt, den wir idealerweise in unserem Inneren nach gelingenden Form-Passform-Interaktionen etabliert haben sollten, wagen wir es nicht, unsere Seele zu entfalten, und wir erleben die Welt als einen gefährlichen Ort. Vor diesem müssen wir uns in Acht nehmen und kapseln uns in unserem Inneren ab, isolieren uns und bleiben mithin unverbunden.
Der einzige Inhalt der Einkapselung ist dann nur noch die Feindseligkeit gegenüber den anderen, jenen, die wir als fremd empfinden (so wie wir uns selber fremd sind).
In unserer heutigen Zeit stellt sich die Frage nach einem Platz umso mehr, als die Erde, auf der wir alle leben und die wir uns teilen müssen, durch die ökologische Krise bedroht ist. Sie ist kein sicherer Platz mehr, nirgendwo, weil diese Krise jeden Winkel dieser Erde erfasst. Wir sind darauf angewiesen, zusammenzurücken, zu verzichten, äußeren Platz zu räumen, ohne dass wir fürchten, uns selber zu verlieren. Heimweh auf einen äußeren Ort zu projizieren und ihn dann gegen die Anderen, die Fremden, zu verteidigen, erschafft nur immer mehr Fluchtbewegungen, denen die Suche nach erneuter Heimat innewohnt, während sehnsuchtsvoll zurückgeschaut wird zu dem, wovon wir getrennt wurden.
Wir verlieren uns im Klagen und in Verallgemeinerungen, denn dann gehören wir ja (gefühlt) dazu! Und doch finden wir uns nicht! Und es treibt uns ein Heimweh, welches wir nicht als solches identifizieren (können), die Sehnsucht nach Platz für unsere Seelenentfaltung.
Was ist denn nun der Ausweg, der sich aus dem Scheitern unserer Bezugspersonen, uns einen Platz anzubieten, ergibt? Was haben wir dann selber weiterzugeben? Worauf sich besinnen? Wie dafür sorgen, dass wir wieder lernen, darauf zu vertrauen, dass der Boden der Beziehungen uns wirklich trägt? Was ist die Medizin, die uns heilt?
Platz bedeutet Lebenswelt. Platz ist mit einem Gefühl von Fülle assoziiert, welches auf gar nichts Außergewöhnlichem oder Geheimnisvollem beruht, sondern darauf, dass sich die Art der Interaktionen des alltäglichen Lebens und die Erwartungen hinsichtlich eben dieser Interaktionen auf der Basis des evolutionären Wissens entsprechen. Das autobiographische Wissen und das evolutionäre Wissen fügen sich dann wie „Form und Passform“ ineinander.
Mein Platz ist die Gesamtheit meines Seins
Mein Platz ist die Gesamtheit meines Seins, einschließlich sämtlicher Polaritäten, der es mir erlaubt, zu werden, wer ich wirklich bin, und es auch dauerhaft zu bleiben. Wenn mir ein solcher Platz im Sinne von sicherer Bindungserfahrung verwehrt wurde, dann habe ich keine solche Repräsentanz in mir, und ich kann sie mir zu keiner Zeit vergegenwärtigen, kann mich nicht dorthin zurückziehen, mich nicht auf ihn berufen, mich nicht dort sammeln und (wieder)finden, wenn es draußen stürmt und wir vertrieben werden, fliehen müssen, in unserer Existenz bedroht werden.
Wenn Eltern nicht in sich selbst beheimatet sind, dann können sie ihren Kindern diese Sicherheit nicht geben, sondern suchen sie gar, weil das Heimweh sie dort hintreibt, wie ein Naturgesetz, in ihren Kindern, wie es ihre Eltern wahrscheinlich bereits bei ihnen taten usw.!
So beuten sie die Ressourcen der Kinder aus, und die Kinder gewähren ihnen diesen Ort, weil sie, die noch eng mit ihrem evolutionären Wissen verbunden sind, danach streben, Gerechtigkeit zu erschaffen. Und weil nun ihre Eltern ihre Wurzeln in den fruchtbaren und jungen kindlichen Boden graben, und diese ihre heimatlosen Eltern nähren, ihnen Heimat bieten (vollkommen unbewusst, aber energetisch relevant), müssen sich die Kinder noch dazu selber der eigene Boden sein, und das Heimweh treibt sie weiter und weiter voran und weg und weg davon zu werden, wer sie wirklich sind.
Das Fehlen eines Platzes und der Zugehörigkeit zu den Eltern, der eigenen Familie, führt zu Verwirrung und Gewalt, denn es widerspricht zutiefst unserem uns angeborenen Streben nach Gerechtigkeit, unserem „empathischen Gen“, weil alle sozusagen von einem Land leben, welches nicht das eigene ist. Man verwirklicht sich in einem Land, das nur deshalb reich ist, weil andere ihre Freiheit verloren haben.
Alle Fragen, die mit der Freiheit, dem eigenen Sein, dem In-Besitz-Nehmen des eigenen psychischen und körperlichen Raumes zu tun haben, haben gleichzeitig mit dem Raum der anderen zu tun. Und wenn das in unser Bewusstsein dringt und unser ganzes Sein durchdringt, dann können wir Neues erschaffen und das „stehende Gewässer", was sich durch die Einkapselung ergeben hat und welches nun umzukippen droht, noch retten.
Es gilt mithin, ein neues Skript zu schreiben, weil das alte nicht passt.
Wenn wir uns über unser Leben beschweren, dann deshalb, weil wir damit ein Beispiel für eine Art von „Regime-Wechsel" vor Augen haben, der von einer gänzlich originellen Neubeschreibung der Lebenswelt ausgeht.
Es gilt mithin, sich des autobiografischen Gedächtnisses bewusst zu werden, dessen, was unsere Lebensgrundlage war, und zugleich der Ungerechtigkeiten, die andere begangen haben (unsere Eltern, Großeltern, Völker etc.) und wodurch sie unsere Lebensgrundlage (Platz/Heimat) zunichte gemacht oder zumindest eingeschränkt haben. Das eigene Leben, die materiellen und emotionalen Voraussetzungen unseres Daseins und die Ungerechtigkeiten zu beschreiben ist notwendig, um die Frage nach der Verbindung zwischen dem eigenen wahren Selbst und dem „In-der-Welt-Sein" erneut aufzuwerfen.
Verantwortung für Lebenswelten übernehmen statt zu zerstören
Manche Eltern bilden sich ein, sie wüssten, wer ihr Kind ist, glauben sogar selber noch daran und behaupten, dass ihnen des Kindes Wohl angeblich am Herzen liegt, ohne sich darum zu bemühen, mit der Wahrnehmung, Anerkennung und Beschreibung (Spiegelung) des Kindes auch nur zu beginnen. Stattdessen erheben sie gar Anspruch auf ihr Kind. Ein Mensch geht aus der Erfahrung eines Platzes (im Herzen, den Augen und in den Gedanken der Eltern), auf dem er gewissermaßen ansässig ist, und dem Recht und Unrecht, das dort begangen wurde, hervor.
Die eigene Identität muss in einem realistischen Verhältnis zu den realen Bindungen stehen, aus denen wir unsere Lebensgrundlage beziehen, wenn nicht sogar sich mit ihnen decken. Wir sind darauf angewiesen, dass das, was uns unsere Eltern anbieten, mit dem übereinstimmt, wie die Welt tatsächlich ist, und dass sie uns nicht vorgaukeln, es gäbe einen Platz für uns in ihrer Welt, die sich von dem, was wir auf der Basis unseres evolutionären Wissens erwartet haben, so gravierend unterscheidet.
Welch eine Tragödie: Eltern, die ihr kostbares Kapital (ihre Kinder) unreflektiert benutzen und missbrauchen… Das Missverhältnis zwischen dem realen Leben und dem, was sich die betroffenen Kinder dann einbilden (müssen), ist so kolossal, dass es schwer ist, sie mit der Realität zu konfrontieren und ihnen Mut zu machen. Die Gefahr ist groß, dass sie sich Schutz bei anderen Identitäten suchen.
Es liegt ein beeindruckendes Beschreibungspotenzial in dem Begriff „Lebenswelt" (Platz/Heimat/sicherer Ort), und damit arbeitet PBSP, um das, was uns ermöglicht zu werden, was wir wirklich sind, und das, worauf wir glauben, ein Anrecht zu haben, wieder aufeinander beziehen zu können. Wenn alles Weh im Grunde Heimweh ist, dann heißt es, sich mit dem tiefen in uns verankerten Wissen darum, wie es sich anfühlt, daheim zu sein, wieder zu verbinden, um von dort aus auszuschwärmen und die Welt zu erobern wie uns selbst. Dann, und nur dann, sind wir in der Lage, Platz zu teilen, dem Fremden mit Interesse und ohne Angst zu begegnen, Verantwortung für unsere Erde und deren Ressourcen zu übernehmen, anstatt sie auszubeuten und zu zerstören. Wie soll das auch noch gehen, wenn sie doch unser zu Hause ist, wir in ihr daheim sind?
Weiterführende Literatur:
Bühnen des Bewusstseins – Die Pesso-Therapie.
Psychosozial- Verlag
Pesso-Therapie: Das Wissen zur Heilung liegt in uns
Klett-Cotta
Dramaturgie des Unbewussten
Klett-Cotta
Alles Weh ist Heimweh
Bruno Endrich Verlag